Open Access und Fachgesellschaften: 4. Open-Access-Transformationsworkshop des Nationalen Open-Access-Kontaktpunkts in Göttingen



Wie können Fachgesellschaften die Open-Access-Transformation erfolgreich umsetzen?

Die zunehmende Digitalisierung verändert seit Mitte der 90er Jahre die gesamte wissenschaftliche Kommunikation. Spätestens seit 2003, dem Jahr der Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen, steht das Thema Open Access für alle sichtbar auf der Agenda. Mit Plan S hat sich noch einmal der Druck auf Verlage erhöht, ihre Geschäftsmodelle an sich veränderndes wissenschaftliches Kommunikationsverhalten und wissenschaftspolitische Forderungen nach Open Access und Open Sciene auszurichten. Dies betrifft auch Fachgesellschaften als Herausgeber von Fachzeitschriften und Schriftenreihen. Vor diesem Hintergrund lud der Nationale Open-Access-Kontaktpunkt OA2020-DE verschiedene Fachgesellschaften und Fachinformationsdienste am 04. und 05. November 2019 an die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen zum Transformationsworkshop ein. Inhaltliche Schwerpunkte waren Erfahrungsberichte von Fachgesellschaften, die ihre Zeitschriften schon im Open Access herausgeben und ggf. einen Transformationsprozess abgeschlossen haben, sowie verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung durch Forschungsförderer, Fachinformationsdienste (FID) und Bibliotheken (Agenda).

Die Open-Access-Transformation ist machbar...

Zur Einleitung des Workshops präsentierten Olaf Siegert von der ZBW und Heinz Pampel vom Helmholtz Open Science Büro die aktuelle Situation bezüglich der Fachgesellschaften in Deutschland und ihrer Herausgebertätigkeiten. Herr Siegert ging vor allem auf die verschiedenen Open-Access-Geschäftsmodelle ein und stellte heraus, dass jede Zeitschrift in einem bestimmten fachlichen und organisatorischen Umfeld existiert und es hier keine „One size fits all“-Lösung gibt, die für alle Zeitschriften aller Fachgesellschaften gleichermaßen passt. Herr Pampel stellte danach die zentralen Ergebnisse einer vor kurzem veröffentlichten Studie zu dem Thema vor. In dieser wurde deutlich, dass fast 40% der Fachgesellschaften in Deutschland mindestens eine Fachzeitschrift herausgeben (die Gesellschaft Deutscher Chemiker GDCh sogar 24), der Großteil davon in Kooperation mit einem Verlag, dass aber nur ~7% dieser Zeitschriften (13 von 182) im Gold Open Access erscheinen, 55% eine Hybrid-Option haben und ~37% Closed-Access-Zeitschriften sind. Dort schlummert also noch viel Potential für Open-Access-Transformationsvorhaben.

Um zu zeigen, wie das Geschäftsmodell einer fachgesellschaftsbasierten Open-Access-Zeitschrift jeweils aussehen kann, folgten drei Erfahrungsberichte. Zuerst berichtete Prof. Dr. Thomas Koop (Universität Bielefeld) von der Gründung der Zeitschrift "Atmospheric Chemistry and Physics" beim Copernicus-Verlag durch die European Geoscience Union (EGU). Intention dieser Neugründung 2001 war die Einführung eines offenen und gemeinschaftlichen Begutachtungssystems mit einem zweistufigen Publikationsprozess, an dessen Ende die Artikel im goldenen Open Access unter einer CC-BY 4.0 Lizenz erscheinen. Finanziert wird dies über Article Processing Charges (APCs), die im Durchschnitt bei ca. 1.500€ pro Artikel liegen (abhängig von der Seitenanzahl des Artikels). Bei der Open-Access-Zeitschrift "Business Research" des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. (VHB) fallen auch Publikationsgebühren an, allerdings werden diese vom Verlag der Fachgesellschaft in Rechnung gestellt, während für die Autor_innen dann keine Gebühren mehr anfallen. "Business Research" wurde 2008 unmittelbar als Open-Access-Zeitschrift gegründet und erscheint in Kooperation mit Springer Nature. Tina Osteneck (Geschäftsführerin des VHB) sprach auch über die Herausforderungen bei der Herausgabe einer Open-Access-Zeitschrift. Neben den disziplinären Zwängen und Gepflogenheiten stellen die wissenschaftspolitischen Entwicklungen wie die Entwicklung des Zeitschriftenmarktes und der Publikationsdruck sowie eine Monopolisierung des Verlagswesens große Herausforderungen dar. Zum Schluss der Session erläuterte Dr. Jodok Troy (Universität Innsbruck) von der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft, wie das freiwillige Engagement von Herausgeber_innen, auf das der Publikationsprozess angewiesen ist, institutionell abgefedert werden kann. Bei der "Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft" ist die Position des Managing Editors an ein fortlaufendes Arbeitsverhältnis an einer wissenschaftlichen Institution (in diesem Fall der Universität Innsbruck) geknüpft und damit fester Teil des Aufgabengebietes. Gleichzeitigt stellt die Innsbruck University Press die Infrastruktur (OJS), Layout und Design für die Zeitschrift zur Verfügung, sodass sie völlig ohne APCs auskommen kann.

Die Zeitschriften Business Research und Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft erhielten beide als Startfinanzierung Gelder von einem Forschungsförderer. Erstere von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und die zweite vom FWF. Die Bedeutung von Forschungsförderern im Kontext der Open-Access-Transformation ist also elementar, insbesondere bei Zeitschriften in den Geistes- und Sozialwissenschaften (wie in den beiden genannten Beispielen), in denen das APC-Modell bislang wenig Akzeptanz findet. Dr. Johannes Fournier (DFG) bestätigte die Bedeutung der Forschungsförderer im Kontext der Open-Access-Transformation von Zeitschriften und Büchern in seinem Vortrag und zeigte Möglichkeiten für konkrete Mitteleinwerbung bei der DFG auf. So lassen sich im Programm "Infrastrukturen für elektronische Publikationen & digitale Wissenschaftskommunikation" Fördermittel für folgende Aktivitäten beantragen:

  • Neugründung und Weiterentwicklung von Open-Access-Zeitschriften
  • Transformation von Closed-Access- oder Hybrid-Open-Access-Zeitschriften
  • Aufbau und Weiterentwicklung (vernetzter) Open-Access-Repositorien
  • Förderung von Werkzeugen und Infrastruktur für das Open-Access-Publizieren

Dabei erfolgt eine zeitlich befristete Finanzierung zur Entwicklung und Implementierung von bspw. innovativen Publikationsprozessen. Eine dauerhafte Finanzierung der Kernaufgaben ist ausgeschlossen. Zusätzlich gibt es die Ausschreibung "Open-Access-Transformationsverträge", die Lizenzverträge mit klar ersichtlicher Open-Access-Transformationsstrategie fördert.

Strategieentwicklung

Der umfangreiche Input sollte dazu dienen, alle auf den gleichen Wissensstand zu bringen und Ansätze für die anschließende Gruppenarbeit liefern. Diese stand am ersten Workshoptag ganz im Zeichen der Strategieentwicklung für die Fachgesellschaften. Basierend auf dem sogenannten Business Model Canvas (einer Methode aus dem Bereich Strategisches Management zur (Weiter-)Entwicklung neuer bzw. Dokumentation bestehender Geschäftsmodelle) sollten die teilnehmenden Fachgesellschaften ihre Key Activities, Key Partners, Key Ressources, Value Propositions, Customer Relationships, Channels, Customer Segments sowie Cost Structure and Revenue Stream identifizieren und diese Informationen, unterstützt von den anwesenden FIDs und Kolleg_innen vom Kompetenzzentrum für Lizenzierung (KfL), nutzen, um Punkte für eine künftige Open-Access-Transformationsstrategie zu erarbeiten. In Form eines Worldcafés mit moderierten Thementischen hatten die Teilnehmer_innen die Möglichkeit, über Finanzierungsmodelle (APC, non-APC, Förderung durch Dritte), Strategieentwicklung (basierend auf dem Canvas) und Kommunikation mit der Community und den Mitgliedern zu diskutieren bzw. sich mit den Referent_innen der Erfahrungsberichte auszutauschen.

...wenn ich die richtigen Partner_innen habe und die Mitglieder bereit sind

Den zweiten Tag führten Dr. Andreas Hübner (GFZ Potsdam) vom Fachinformationsdienst Geowissenschenschaften der festen Erde (FID GEO) und Herr Prof. Dr. Gerhard Franz (TU Berlin) von der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft ein und berichteten von der erfolgreichen Transformation der Zeitschrift "European Journal of Mineralogy" (EJM) in den Open Access. Nachdem in den letzten Jahren der Impact Factor und damit die Anzahl der Einreichungen bei der Zeitschrift kontinuierlich gesunken waren, es Verzögerungen bei der Herstellung gab und die Konkurrenz immer stärker wurde (z.B. durch die neu aufgelegte Open-Access-Zeitschrift "Minerals" von MDPI), entschied man sich, in einem ersten Schritt die Zeitschrift 2019 auf online only umzustellen (plus print-on-demand-Möglichkeit) und für 2020 auf Open Access. Damit verbunden ist außerdem ein Verlagswechsel vom bisherigen Verlag Schweizerbart hin zu dem Open-Access-Verlag Copernicus. Um herauszufinden, welcher Verlag einen hohen Open-Access-Standard bei gleichzeitig niedrigen APCs bieten kann, hatten die vier Fachgesellschaften hinter EJM zuvor eine Art Ausschreibung durchgeführt. Die Auswahlkriterien waren: Open-Access-Erfahrung, Kosten/Finanzierungsmodell, Abrechnungsprozesse, Produktionseffizienz, Archivierung, Webseite/Marketing, Zugang zu Supplementary Materials, Lizenz, Review System, Unterstützung der Autor_innen durch den Verlag, Option für print on demand sowie Renommee. Die Finanzierung erfolgt auch hier über Article Processing Charges, wobei Mitglieder der Fachgesellschaft eine geringere Gebühr pro Seite bezahlen. Begleitet wurde die Fachgesellschaft bei der Transformation durch den FID GEO, der sich in Zukunft noch viel stärker in dem Bereich engagieren will.

Danach stellte Frau Lydia Glorius (SUB Göttingen) in ihrem Vortrag das Kompetenzzentrum für Lizenzierung (KfL) vor. Das KfL wird (gefördert durch die DFG) von der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB Göttingen) gemeinsam mit der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) und der Bayerischen Staatsbibliothek München (BSB) betrieben und unterstützt die einzelnen Fachinformationsdienste u.a. bei der Verhandlung, Lizenzierung und überregionalen Bereitstellung digitaler Medien. Darüber hinaus entwickelt das KfL gemeinsem mit den FIDs auch neue Lizenz- und Geschäftsmodelle, wobei hier zunehmend die Open-Access-Transformation als Thema in den Fokus rückt und Open-Access-basierte Geschäftsmodelle immer mehr verhandelt und implementiert werden.

In der anschließenden Gruppenarbeit ging es um konkrete Schritte zur Vorbereitung der Implementierung von Open-Access-Geschäftsmodellen bei Fachgesellschaften. Dafür diskutierten die Teilnehmer_innen, was eine Fachgesellschaft tun könnte, um mit der gewählten Open-Access-Strategie Erfolg zu haben, welche Kooperationen notwendig sind und welche konkreten Schritte unternommen werden müssen. Außerdem sprachen die Teilnehmer_innen darüber, welche persönlichen Kompetenzen notwendig sind, um Diskussionen und Konflikten innerhalb einer Fachcommunity und mit Verlagen im Zuge einer Open-Access-Transformation zu moderieren.

Gewonnene Erkenntnisse

Die Diskussionen nach den Vorträgen und in den Arbeitsgruppen haben gezeigt, dass die auf dem Workshop vorgetragenen „Best-Practice-Beispiele“, etwa der European Geoscience Union oder der Deutschen Minearologischen Gesellschaft, anderen Fachgesellschaften zu wenig bekannt sind. Ebenso bestehen bei vielen Fachgesellschaften Informationsbedarfe zu geeigneten Open-Access-Geschäftsmodellen, Fördermöglichkeiten bei der Open-Access-Transformation oder zu unterstützenden Services durch die Fachinformationsdienste. Darüber hinaus wurde auch deutlich, dass es innerhalb der jeweiligen Fachgesellschaften handelnde Akteure braucht, die die Open-Access-Transformation umsetzen und moderieren können. Plan S und DEAL werden von den Fachgesellschaften als Katalysatoren der Open-Access-Transformation wahrgenommen, gleichwohl werden Open Access, Open Peer Review oder Open Data noch nicht von allen Fachgesellschaften als Qualitätsmerkmale wahrgenommen, die die langfristige Attraktivität ihrer eigenen Zeitschriften unter den Rahmenbedingungen Digitalisierung und Open Sciene auch für jüngere Autor_innen und Autoren sicherstellen. Darüber hinaus haben die anwesenden FIDs und die DFG die Erkenntnis mitgenommen, dass die Open-Access-Transformation das Aufgabenfeld der Fachinformationsdienste deutlich verändert – von der ursprünglich im Zentrum stehenden Informationsversorgung hin zu verschieden Formen der Publikationsunterstützung (inklusive der Förderung von Open-Access-Geschäftsmodellen, aber auch von Publikationsportalen und Repository-Infrastrukturen).

Als besonders positiv und hilfreich wurden die Beispiele aus der Praxis gewertet, die zeigen, dass Open Access finanzier- und machbar ist. Mit Hilfe des Dreiklangs Kommunikations-, Kosten- und Transitionsstrategie und unterstützt durch einen Fachinformationsdienst, mag der Schritt für die einzelne Fachgesellschaft zwar immer noch groß, aber nicht unmöglich sein. Das Hinterfragen der eigenen Strukturen und des bisherigen Publikationsverhaltens sowie die Rolle als Fachgesellschaft (muss ich unbedingt als Herausgeberin tätig sein oder reicht es, eher eine Netzwerkerin und Unterstützerin für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu sein?) hilft dabei.

Weiterführende Informationen

  • Am Workshop beteiligte Fachgesellschaften und Fachinformationsdienste:
    • Fachgesellschaften: Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien, Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V., Fachgesellschaft Geschlechterstudien, Deutsche Geophysikalische Gesellschaft, European Geoscience Union, Deutsche Gesellschaft für Medizinische Physik e.V., Deutsche Mineralogische Gesellschaft, Gesellschaft für Ökologie, Österreichische Gesellschaft für Politikwissenschaft, Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie, Deutsche Gesellschaft für Soziologie, Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft, Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Volkskunde
    • Fachinformationsdienste: FID Altertumswissenschaften - Propylaeum, FID Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, FID Geschichtswissenschaft, FID Geowissenschenschaften der festen Erde, FID Jüdische Studien, FID Pharmazie, FID Romanistik, FID Sozial- und Kulturanthroplogie, FID Theologie
  • Fachspezifische Informationen bei Open-Access.net
  • Business Model Canvas Vorlage vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
  • Übersicht der Fachinformationsdienste