Workshop (Bibliotheks-)Konsortien für gebührenfreies Open Access
Ausgangslage
Verlagsunabhängige, gebührenfreie Fachzeitschriften stehen vor personellen und finanziellen Engpässen. Dies ist strukturell bedingt, da die tatsächliche Vielfalt der publizierenden Einrichtungen und Kontexte durch die bestehenden Finanzierungsmodelle nicht abgebildet wird: private und öffentliche Forschungseinrichtungen geben heraus; es entstehen neue Formate der Wissenschaftskommunikation wie Weblogs; Fachgesellschaften wünschen sich eine stärkere Einbindung in die publizistischen Ambitionen ihrer Mitglieder. Gleichzeitig können junge Disziplinen, Bindestrich-Wissenschaften und interdisziplinäre Projekte ihre Zeitschriften in der Regel nur gründen bzw. am Leben halten, wenn einzelne Akteur_innen ihre Arbeitszeit oder andere Ressourcen für die Redaktionsarbeit nutzen oder ggf. zweckentfremden. Viele Zeitschriften wiederum wollen auf ein Open-Access-Modell umsteigen, finden aber kein geeignetes Modell und vor allem keine langfristige Finanzierung. Verlagsunabhängige Zeitschriften, die als Open-Access-Projekte gestartet sind, trifft dies in besonderem Maße, weil Finanzierungsmöglichkeiten oft auf das “Flipping” von Zeitschriften abzielen. Aktuelle, zum Teil innovative Förderungsmöglichkeiten und Geschäftsmodelle im Open-Access-Kontext können hier also keine direkte Unterstützung liefern. Zugleich würden viele Bibliotheken gemeinschaftlich finanzierte, gebührenfreie Open-Access-Modelle prinzipiell unterstützen, finden aber keine für sie passenden Initiativen bzw. tun sich schwer mit der Auswahl. Hier gilt es, auf die bestehenden verlagsunabhängigen Open-Access-Projekte aufmerksam zu machen und Hilfestellung bei der Finanzierungsentscheidung zu leisten.
Gebührenfreies Open Access
Basierend auf dieser Ausgangslage fanden sich am 05. Mai 2020 30 Teilnehmer_innen von Bibliotheken, Zeitschriften und Forschungseinrichtungen in den Zoom-Räumen des Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft zusammen, um über mögliche Perspektiven zu diskutieren. Als Diskussionsgrundlage berichteten drei der vier Organisator_innen von ihren Erfahrungen mit gebührenfreien Open-Access-Modellen und den bestehenden Möglichkeiten:
So untersuchte das Projekt „Innovatives Open Access im Bereich Small Science (InnOAccess)“ am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft die aktuelle Situation von Scholar-led Journals in Deutschland mit dem Ergebnis, dass vor allem Kreativität und Prekarität den Redaktionsalltag bestimmen. Zu den Zielen dieses Projektes gehören die Entwicklung und Dokumentation technischer Publikationslösungen am Beispiel der Zeitschrift „Internet Policy Review“, die Identifikation nachhaltiger Finanzierungsmodelle für spezifische Small-Science-Journals und die Etablierung tragfähiger Netzwerke für Kooperationen mit der Fachcommunity.
Das Projekt OLH-DE wiederum beschäftigt sich mit den Fragestellungen rund um das gebührenfreie Open-Access-Publizieren aus Sicht der Herausgeber_innen und Bibliotheken. Ziel des Projektes ist es, die Open Library of Humanities in Deutschland bekannter zu machen und die Situation von Open Access in den Geisteswissenschaften zu beleuchten. Dafür wurden zwei Umfragen durchgeführt, um zu ermitteln wie hoch die Bereitschaft unter den Herausgeber_innen deutschsprachiger geisteswissenschaftlicher Zeitschriften ist, auf Open Access umzusteigen und wie alternative konsortiale Modelle von den Vertreter_innen deutscher Hochschulbibliotheken angesehen werden. Für die Herausgeber_innen ist es bei einer Umstellung auf Open Access vor allem wichtig, keine Publikationsgebühren einführen zu müssen und trotzdem die Zeitschrift professionell präsentieren zu können. Für Bibliotheken wiederum ist eine Mitgliedschaft bei OLH Teil der Open-Access-Strategie und dient der gezielten Open-Access-Förderung in den Geisteswissenschaften.
Zum Abschluss des Inputs berichtete der Nationale Open-Access-Kontaktpunkt über seine bisherigen Erfahrungen im Umgang mit bibliothekarischen Konsortien. Diese waren im Vorfeld als potentielle Lösung für die Finanzierungsfrage von verlagsunabhängigen, gebührenfreien Open-Access-Zeitschriften identifiziert worden. Als etablierte, vertrauenswürdige Partner_innen ermöglichen sie eine größere Verhandlungsmacht bei gleichzeitiger Bündelung der Ressourcen. Jedoch können die Abstimmungsprozesse und einzuhaltenden Regularien zu teilweise langen Verhandlungszeiten führen. Beispiele wie das DOAJ, arXive oder SCOAP³ zeigen aber, wie erfolgreich die gemeinschaftliche Finanzierung von Open-Access-Projekten und -Strukturen basierend auf konsortialen Ansätzen sein kann.
Die ideale Open-Access-Zukunft
Nach den Inputs wurden die Teilnehmer_innen auf 4 Gruppen in Break-Out-Rooms verteilt und sollten die Bedarfe von Publikationskontexten in verlagsunabhängigem und gebührenfreiem Open Access identifizieren. Zwei Gruppen bearbeiteten dabei die Nachfrageseite, also die Seite der Open-Access-Zeitschriften und zwei Gruppen die Angebotsseite, also die Seite der Bibliotheken bzw. Bibliothekskonsortien. Als Methode wurde ein Extremszenario (ideale Open-Access-Zukunft) mit anschließender Bedarfsermittlung und -ableitung verwendet. In einer idealen Open-Access-Welt ist die Kostenfrage geklärt und die Kosten für das Publizieren sind angemessen. Es werden diejenigen entlohnt, die auch wirklich die Arbeit gemacht haben und es gibt Wettbewerb und Vielfalt, auch mit den Non-APC-Playern. Auf Seiten der fördernden/finanzierende Einrichtungen wurden nationale Strukturen für die Finanzierung und Organisation geschaffen, es gibt zentrale Anlaufstellen und eine Verpflichtung zum Open-Access-Publizieren bei öffentlich geförderten Projekten. Auf Seiten der Open-Access-Zeitschriften gibt es mehr Zusammenarbeit und Kommunikation und es wird auf Aspekte wie Nachhaltigkeit, Effizienz und Relevanz beim Publizieren geachtet. Es ist außerdem klar, an welcher Stelle die lokalen Bedarfe und an welcher Stelle die übergeordneten Aufgaben der Wissenschaftskommunikation berücksichtigt werden müssen.
In der Realität stehen die Beteiligten in erster Linie vor der Schwierigkeit, genuine Open-Access-Geschäftsmodelle ohne Publikationsgebühren sinnvoll in die bestehenden Prozesse und Logiken von Forschungsförderung, Medienerwerbung und Rechnungswesen zu integrieren.
Perspektiven nachhaltigen Publizierens
Eine Möglichkeit, sowohl dieser Herausforderung als auch der genannten Ausgangslage zu begegnen, ist die Einrichtung zentraler Fonds, aus denen Open-Access-Publikationsprojekte Mittel für den Betrieb beantragen können. Wie ein solches Modell aussehen kann, wurde in einem Writing Sprint formuliert, der am 27. Mai (im Anschluss an den Workshop) vom ebenfalls am Workshop beteiligten Projekt Open Gender Platform moderiert wurde:
Ein solcher Fond wäre durch bestehende einzelne Akteur_innen aufgesetzt und verwaltet (z.B. Bibliothekskonsortien). Er lässt sich aber auch durch ein Konsortium aus verschiedenen Stakeholdern organisieren: Universitäten, private und öffentliche Forschungseinrichtungen, Fachgesellschaften, Forschungsinfrastrukturen wie Bibliotheken und Forschungsförderer. Für eine positive Begutachtung lassen sich bestehende Kriterien der Open Library of Humanities oder der FAIR Open Access Alliance nutzen. Als Alternative kommt der Aufbau einer nationalen Publikations- und Finanzierungsstruktur in Frage: Zeitschriften erhalten so die Möglichkeit, gehostet und betreut oder bei bestehender Eigenständigkeit finanziell unterstützt zu werden. Auch hier gibt es Vorbilder wie die schon angesprochene Open Library of Humanities, das Projekt AmelicA oder HRČAK.
Die Aufnahme in beiden Fällen sollte standardisiert und so einfach wie möglich sein. Eine Selbstauskunft zur Erfüllung der Kriterien in Kombination mit einem Letter of Intent, durch z.B. die Fachgesellschaft oder ein ähnliches Organ, sowie stichprobenhafte Überprüfungen sind ausreichend. Eine solche Förderstruktur erlaubt es den Zeitschriften, langfristig zu planen und dadurch auch redaktionelle Prozesse zu optimieren. Evaluation ist sinnvoll, sollte aber nicht zur Daueraufgabe werden. Die Weiterförderung ist dabei transparent an einfache Kriterien gebunden (z.B. Listung in DOAJ, regelmäßige Einreichungen u.ä.) und entlastet die Redaktionen von komplizierten Evaluationsverfahren. Die Förderung hat das Ziel, Redaktionen mit den Personal- und Sachmitteln auszustatten, die für den unabhängigen Betrieb einer für Leser_innen und Autor_innen frei zugänglichen Zeitschrift notwendig sind.
Gewonnene Erkenntnisse
Es liegt im Interesse der Universitäten, privaten und öffentlichen Forschungseinrichtungen, Fachgesellschaften, Forschungsinfrastrukturen wie Bibliotheken und Forschungsförderern, ein solches Vorhaben zu unterstützen und damit zu gewährleisten, dass ihre Zielgruppen nicht nur Literatur für die Rezeption, sondern zugleich angemessene, passende und fachlich anerkannte Open-Access-Publikationsmöglichkeiten zur Verfügung haben.